Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen, und die Welt schien still zu stehen. Die warmen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten den Strand in goldenes Licht, das sich auf den sanften Wellen des Meeres spiegelte. Der Sand unter Lilas Füßen war warm, fast beruhigend, wie eine sanfte Umarmung. Doch in ihrem Inneren tobte ein Sturm.
Sie hatte alles zurückgelassen: ihre Arbeit, ihre Wohnung und sogar die Stadt, die sie so lange als ihr Zuhause bezeichnet hatte. Der Flug in dieses ferne Land war eine spontane Entscheidung gewesen – eine Flucht, die niemand in ihrem Leben hatte kommen sehen. Und jetzt stand sie hier, allein an einem Strand, der so friedlich wirkte, dass er fast wie ein Trugbild erschien.
Lila hob den Kopf und ließ ihren Blick über den Horizont gleiten. Es war fast schon surreal, wie das Blau des Meeres sich mit dem Orange des Himmels vermischte. In diesem Moment fühlte sie sich klein, unbedeutend, und dennoch frei. Doch diese Freiheit schmeckte bitter, als ob sie mit dem Preis der Einsamkeit erkauft worden war.
Ihre Gedanken wurden von einem Geräusch hinter ihr unterbrochen – ein leises Knirschen, als ob jemand den Sand unter seinen Schuhen zerdrückte. Sie drehte sich um, ihr Herz raste, obwohl sie keine Gefahr erwartete.
Da stand ein Mann. Er war groß, hatte breitschultrige, schlanke Züge, und sein dunkles Haar war vom Wind zerzaust. Er trug ein weißes Hemd, das lässig aufgeknöpft war, und Jeans, die an den Knien leicht abgetragen wirkten. Seine Hände steckten in den Hosentaschen, und seine Haltung war entspannt, fast als würde er zu diesem Bild von Ruhe und Harmonie gehören.
„Du siehst aus, als ob du etwas verloren hast“, sagte er schließlich. Seine Stimme war tief, aber weich, mit einem Hauch von Belustigung, der sie gleichzeitig irritierte und faszinierte.
Lila starrte ihn an, unsicher, wie sie reagieren sollte. Ihr Instinkt sagte ihr, vorsichtig zu sein – ein Fremder an einem verlassenen Strand war nie eine gute Nachricht. Aber etwas an seinem Blick hielt sie fest. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz, und sie schienen nicht nur ihre äußere Erscheinung zu betrachten, sondern tief in ihr Innerstes zu blicken.
„Vielleicht“, antwortete sie schließlich und hob das Kinn leicht an, um sich nicht von seiner Präsenz einschüchtern zu lassen.
„Vielleicht?“ Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte. „Ein interessanter Ort, um nach etwas zu suchen. Aber ich nehme an, dass du nicht von hier bist.“
Lila schnaubte leise. „Was bringt dich zu dieser Annahme?“
„Deine Haltung“, sagte er ohne zu zögern. „Du stehst da, als würde der Ozean dir Antworten schulden.“
Sie wollte lachen, doch die Worte trafen sie. Es war, als ob dieser Fremde in wenigen Augenblicken mehr über sie wusste, als sie selbst zuzugeben bereit war.
„Vielleicht suche ich einfach nur Ruhe“, sagte sie schließlich, und ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
„Ruhe“, wiederholte er und schob eine Hand aus der Tasche, um mit den Fingerspitzen durch den Sand zu fahren. „Ein trügerisches Ziel. Die meisten, die hierherkommen, suchen keine Ruhe. Sie suchen Vergessen.“
Lila hielt inne, sein Blick schien sich in ihren zu bohren. „Und du?“ fragte sie schließlich, fast herausfordernd. „Was suchst du?“
Er lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln, das mehr Fragen aufwarf, als es beantwortete. „Vielleicht genau das Gleiche wie du.“
Bevor sie nachhaken konnte, drehte er sich um und ging langsam in Richtung der Felsen am Ende des Strandes. Der Wind spielte mit seinem Hemd, während die letzten Sonnenstrahlen seine Silhouette in goldenen Schimmer hüllten.
Lila blieb allein zurück, das Rauschen der Wellen füllte die Stille. Wer war dieser Mann, und warum hatte seine Anwesenheit sie so aufgewühlt?
Sie wusste, dass sie ihn wiedersehen würde. Doch sie hatte keine Ahnung, wie sehr dieser Fremde ihr Leben verändern würde.